Standpunkte
Ich erinnere mich an die erste Gruppenarbeit in der Schule. Es war ein Chaos. Vier Schüler, ein Thema, keine Rollen. Am Ende schrieb einer alles, zwei halfen beim Layout und einer wusste bis zur Abgabe nicht, dass es eine Gruppenarbeit war.
Was damals wie ein pädagogischer Feldversuch wirkte, ist heute Realität – in groß, in teuer, in kritisch: der Schadenprozess.
Ein beschädigtes Auto, ein Rohrbruch, eine kaputte Fensterscheibe – scheinbar banale Ereignisse. Und doch genügt ein einziger Schadenfall, um ein ganzes Netzwerk in Bewegung zu setzen. Versicherer, Makler, Schadenmanager, Gutachter, Werkstatt, Techniker, Dienstleister, Backoffice, Regulierer – und irgendwo mittendrin: der Mensch mit dem Schaden. Oft überfordert, immer abhängig.
Der Fall wird zur Bühne. Doch statt Ensemble gibt es Einzelrollen. Jeder kennt seinen Text – aber keiner kennt das Stück.
Denn die wahre Kernkomplexität im Schaden liegt nicht im Regulierungsrecht oder in der Softwarearchitektur. Sie liegt im Zwischenraum. Dort, wo Informationen verschwinden, wo Schnittstellen nicht verbunden sind, wo Zuständigkeit zur Verlegenheit wird. Und wo niemand das Ganze sieht – nur den eigenen Abschnitt.
Der Schadenprozess ist kein Orchester. Er ist ein Flickenteppich mit Partitur.
Und doch gibt es sie: diese seltenen Momente, in denen plötzlich alles greift.
Wo ein Fall wie aus einem Guss wirkt.
Wo keine Mail fehlt, keine Rückfrage kommt, keine Zuständigkeit unklar bleibt.
Wo aus Beteiligten ein Ablauf wird – nicht durch Zufall, sondern durch Struktur.
Nicht, weil jemand besonders laut ruft, sondern weil das System zuhört.
Es ist wie beim guten Theater: Man merkt dem Stück nicht an, wie schwer die Proben waren. Man spürt nur das Zusammenspiel. Und den Takt.
Dann zeigt sich: Die Kernkomplexität ist kein Naturgesetz. Sie ist gestaltbar.
Aber eben nur, wenn man bereit ist, nicht mehr in Silos, Tools und Abteilungen zu denken – sondern in Fällen.
Nicht mehr in E-Mails, sondern in Entscheidungen.
Nicht mehr in Kontrolle, sondern in Vertrauen.
Ein Schadenfall braucht nicht zehn Interfaces – sondern ein Gefühl von Zusammenhang.
Er braucht nicht mehr Beteiligte – sondern bessere Verbindung.
Die Lösung liegt nicht darin, einen Beteiligten nach dem anderen „besser zu machen“.
Die Lösung liegt darin, sie überhaupt miteinander zu bringen.
Wer das schafft, arbeitet nicht gegen die Komplexität –
sondern mit der Wirklichkeit.
Der erste Schritt: Ein Gespräch